Sternenkinder

Eine Reportage

„Früher wurden die totgeborenen Kinder flink in ein Tuch eingeschlagen und aus dem Kreissaal oder Gebärzimmer getragen – und später mit dem Klinkmüll verbrannt. Die Eltern sollten sie gar nicht erst sehen. Lieber gleich vergessen.“ („Sternenkinder: Umgang mit Totgeburten“ Hebammenforum 8/2014)

Sternenkinder sind Kinder, die mit ihren Füßen nur einmal kurz die Erde berührt haben, um dann wieder zu gehen. Soviel Liebe, so viele Hoffnungen und schon vorbei.

Alle Eltern wünschen sich gesunde Kinder. Nicht alle Eltern haben das Glück diese auch zu bekommen. Frauen werden heute immer später schwanger. Eine Erstgebärende, die auf die Vierzig zugeht, ist keine Seltenheit mehr. Das Risiko auf genetische Schädigungen steigt dramatisch mit dem Alter der Frau. Natürlich kann mit Hilfe der modernen Diagnostik jeder Gendefekt rechtzeitig festgestellt werden. Die Entscheidung liegt dann bei der Frau, die Schwangerschaft weiterzuführen oder abzubrechen.

Was bedeutet es für die Mütter, ein Kind auf die Welt zu bringen, das nicht leben wird? Auch wenn das Kind im Mutterleib verstirbt, erlebt die Frau eine „normale“ Geburt. Sie hat den selben Geburtsschmerz – nur ihre Arme sind leer.

2011 wurden in Deutschland 2387 Kinder tot geboren. Das sind 3,6 Kinder pro 1000 Geburten. Die Grenze zur Fehlgeburt liegt in Deutschland bei einem Geburtsgewicht von 500 Gramm. Kinder ab 500 Gramm werden personenstandsrechtlich erfaßt. Sie können einen Namen bekommen, eine Geburts- und Sterbeurkunde und dürfen bestattet werden. („Sternenkinder: Umgang mit Totgeburten“ Hebammenforum 8/2014)

Monika Ungruhe, 69, ist eine erfahrene Hebamme. Sie hat sich auf die Betreuung verwaister Mütter spezialisiert, bietet Rückbildungskurse und Trauerbegleitung an. Der Bewegungsraum, in dem die Kurse stattfinden, ist ein heller sonnendurchfluteter Ort. Die betroffenen Frauen nehmen das Angebot dankbar an. Gerade verwaiste Mütter müssen dringend etwas für sich und ihren Körper tun, um ihr seelisches Gleichgewicht zurückzufinden und es lernen, mit Trauer und Enttäuschung umzugehen.

Über Monika Ungruhe lernen wir Katrin Huinik, 37, kennen. Sie ist eine verwaiste Mutter.

Telefonat mit Katrin:

Sie sagt: „Ich habe drei Töchter: Charlotte, Frederike und Pauline. Frederike lebt.
Einen Moment herrscht Schweigen. Dann verabreden wir uns bei Katrin zu Hause.
Sie zeigt die Bilder von Charlotte. Klein wie eine Puppe, fünfhundert Gramm leicht, liegt sie in einem Körbchen auf rosa Seide. Charlotte kam nicht im Kreissaal sondern in einem separaten Gebärzimmer zur Welt. Das Licht war abgedunkelt. Die Betten zusammengestellt. Katrins Mann war dabei. Als Charlotte geboren wurde, war sie bereits tot. „Sie sieht aus wie eine winzige alte Frau,“ sagt Katrin Huinik. „Sie hat fast keine Lippen und hier diese Linie von der Nase über die Stirn zum mittleren Schädelknochen, ist typisch für ihre Erkrankung. Ein Gendefekt. Sie ist einfach nicht mehr gewachsen und kam in der 32. Woche zur Welt.“ .

Für Katrin ist es wichtig, Charlotte genau betrachtet zu haben, um zu verstehen, warum sie nicht leben sollte und sich noch einmal zu überzeugen: Es hat dieses Kind gegeben. Charlotte war da. Unwiderruflich. Katrins Vater ist Tischler und hat für Charlotte einen winzigen Sarg gebaut. Die Familie hat sie gemeinsam beerdigt, ein wichtiges Ritual.
Die Welt ist nicht stehen geblieben – aber sie hat geruckelt,“ sagt Katrin, „es ist nicht so, dass das Leben nach so einem Ereignis einfach so weiter geht.

Mütter, die ihr Baby so früh verlieren, sind zutiefst betroffen. Es ist ein großer Schmerz, den sie alleine tragen, im besten Fall zusammen mit ihrem Partner. Familie und Freunde können kaum Anteil nehmen: Sie haben das Kind ja noch gar nicht gesehen. Sie kennen es nicht. Die Eltern schicken anstelle der Geburtsanzeige nun eine Todesanzeige. Was bleibt ist der Gipsabdruck eines winzigen Füßchens, der Abdruck einer Hand, ein Kindergrab zum Zeichen das auch dieses Kind auf dieser Welt gewesen ist. Es hat noch wenig Spuren hinterlassen.

Der Film wir mit den Mitteln der Reportage eine Frau, die von der Hebamme Monika Ungruhe betreut wird, auf ihrem Weg durch die Trauer zurück ins Leben begleiten.

Wir beginnen in einem  sonnendurchfluteten Raum …

Autorin: Beate Fichtner